Brita Guth-Bodmann

Das Podest mit Rutschkeilen und Kiste (umgedrehtes Podest)

Was können Babys und Kleinkinder mit Hilfe des Podests bzw. der Kiste lernen?

Ich fange mit einem Beispiel an, wie ich es in meiner Praxis sehr oft erlebe:
Wie Edisa zum ersten Mal das Podest/ die Krabbelkiste ausprobiert.

Edisa ist 9 Monate alt und bewegt sich seit vielen Wochen robbend durch den Raum. Sie wechselt dabei immer wieder zwischen Bauch- und Rückenlage und tut dies mit einer beachtenswerten Sanftheit und Geschmeidigkeit. Sie fühlt sich am Boden sichtlich wohl und erkundet ihre Umgebung mit großem Interesse. Nun hat sie die nötige Kraft, um ihren gesamten Rumpf vom Boden abzuheben. Sie krabbelt!
Erst jetzt entdeckt sie das Podest, obwohl es schon seit Beginn des Kurses vor 3 Monaten am gleichen Fleck steht. Zufall oder ist sie erst jetzt dazu bereit? Wie auch immer. Sie krabbelt hinauf, als hätte sie es schon immer so gemacht. Sie kommt zur schiefen Ebene ohne Teppich, dem Rutschkeil. Ihre Mutter rückt näher. Doch nun geschieht etwas Erstaunliches: Edisa legt sich flach auf den Bauch! Sicher und kontrolliert rutscht sie hinunter. Edisas Körper hat ganz von selbst etwas richtig gemacht: den Schwerpunkt abgesenkt. Somit war die Situation kontrollierbar und ihr erstes Abenteuer “Höhe” erfolgreich gemeistert!

Drei Kinder im Krabbelalter auf der Krabbelkiste und Podest mit Rutschkeilen im Pikler®-SpielRaum
auf diesem Bild sind andere Kinder zu sehen

Wie kann der Körper das Richtige tun? Woher weiß der Körper, was in einer Gefahrensituation (Höhe) zu tun ist?

Wenn ein Kind ausreichend Möglichkeiten bekommt, sich frei zu bewegen, baut es Schritt für Schritt seine motorischen Kompetenzen auf. Es übt und übt, monatelang. Viel Zeit seines Wachseins ist der Körper damit beschäftigt, in den verschiedensten Positionen sein Gleichgewicht zu finden. Oft tut er das nebenher, also wenn sich das Kind eigentlich mit Gegenständen beschäftigt. Das Kind spielt unentwegt mit seinem Gleichgewicht und macht dabei wichtige Erfahrungen, die der Körper speichert. Er erinnert aber nicht nur all die Positionen. Er gewöhnt sich daran, die Umgebung tastend wahrzunehmen und darauf entsprechend zu reagieren.

“Umsicht und Selbstvertrauen entwickeln sich, wenn Kinder bei ihrem tastenden Herangehen an eine neue Aufgabe nicht gestört werden”

Emmi Pikler

Gleichzeitig wächst im Kind das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und ein Einschätzungsvermögen darüber: “was kann ich schon? Was kann ich mir zutrauen? Was ist noch zu weit/ zu hoch?”
Das sind wesentliche Voraussetzungen für eine weitgehend unfallfreie Entwicklung!

Kann mein Kind überhaupt schon erkennen, dass es wo “runter” geht – kann es Tiefen wahrnehmen?

Ja, rein visuell kann es das. Interessant ist nur, dass das Gehirn visuelle Reize je nach Vorerfahrung interpretiert. In psychologischen Experimenten hat man herausgefunden, dass Kinder die noch nicht krabbeln, eine Tiefe, also einen Abgrund, interessant finden (Herzfrequenz sinkt ab). Kinder die bereits erste Erfahrungen mit Abgründen gemacht haben, reagieren nicht mit Interesse, sondern mit Angst (Herzfrequenz steigt) und bleiben stehen. Sie wissen also, was der Abgrund bedeutet.

Wie kann ich mein Kind darin unterstützen, mit Höhen/ Abgründen sicher umzugehen?

Sobald dein Kind beginnt, sich durch den Raum zu bewegen, ist Folgendes wichtig:

  • genug Platz,
  • keine Gegenstände, die umfallen könnten, wenn sie beklettert werden,
  • sondern sinnvolle Hindernisse, wie z.B. ein Podest / Krabbelkiste mit einer Höhe von ca. 15 – 20 cm als “Übungshöhe” und
  • eine entspannte Atmosphäre, in der dein Kind Neues ausprobieren kann.

Wichtig: Störe die selbstständigen Versuche nicht durch Zurufe wie “Pass auf!”

Beobachte dein Kind bei seinen Versuchen und du wirst merken, dass es genau das macht: es passt auf! Achte darauf, die richtige Distanz einzunehmen – bist du zu nahe, kann es sein, dass sich dein Kind mehr auf dich als auf seine eigene Wahrnehmung verlässt.
Und genau diese gilt es zu fördern: seine eigene Wahrnehmung! Nur sie kann deinem Kind eine verlässliche Begleiterin sein.

Kann dein Kind Erfahrungen mit “Übungshöhen”, wie dem Podest machen, kannst du darauf vertrauen, dass es bei echten Gefahren, wie z.B. Treppen, richtig reagieren wird. Es setzt seinen Körper als Wahrnehmungsorgan ein.

Füße eines Kindes auf der Schwelle des Podests zum Rutschkeil.
Die Füße tasten sich heran

Wenn du wissen möchtest, welche Vorteile eine Freie Bewegungsentwicklung noch bietet und wie du dein Kind darin unterstützen kannst, dann freue dich auf meine nächsten Blog-Beiträge!